Durian Sukegawa - Die Katzen von Shinjuku

Lob und Verriss - Der Podcast

Feb 6 2023 • 6 mins

Durian Sukegawa, der in Japan nicht nur Romane und Gedichte schreibt, sondern auch als Schauspieler, Punkmusiker und Fernseh- sowie Radiomoderator bekannt ist, gelang mit Kirschblüten und rote Bohnen in seiner Heimat ein Bestseller, welcher von Naomi Kawase für die Filmfestspiele in Cannes verfilmt wurde. Zufällig stieß ich auf sein jüngstes Werk Die Katzen von Shinjuku, welches 2021 im Dumont Verlag auf deutsch veröffentlicht wurde und entschied mich kurzerhand mein Rezensionsjahr so fortzusetzen, wie ich es begonnen habe und mich erneut der Besprechung japanischer Literatur zu widmen.

Mitte der 1980er Jahre begann in Japan die so genannte Bubble Economy, eine Volkswirtschaft bei der am Aktien- und Immobilienmarkt spekuliert wurde und die kurzfristig von der Spekulationsblase profitierte, nach Platzen selbiger aber zu wirtschaftlichen Rückschlägen führte. Genau in dieser Zeit siedelt Durian Sukegawa seine Geschichte im tokioter Stadtviertel Shinjuku an, das unter anderem für seine unzähligen Bars und Kneipen bekannt ist, zu denen man am Abend durch ein Meer von Lichtern und Menschen gelangen kann.

Einer seiner Protagonisten ist Yama, der 27-jährige Ich-Erzähler und ein Mann, dessen eigentlicher Traum es ist, kreativ zu arbeiten, Drehbücher zu schreiben und bei Film- und Fernsehproduktionen unterzukommen. Als es schließlich jedoch um Bewerbungen bei Fernsehen und Verlagen geht, muss er schockiert feststellen, dass diese vor allem eins eint, nämlich der Satz: „Farbfehlsichtige sind vom Eignungstest ausgeschlossen“, was für Yama als Farbenblinden einer Katastrophe gleich kommt. Er selbst hatte die Sache folgendermaßen eingeschätzt: „Tatsächlich hieß es, dass jede fünfhundertste Japanerin und jeder zwanzigste Japaner eine solche Farbschwäche hätten. Deshalb hatte ich die Sache unterschätzt. Da Farbschwäche bei uns Jungen so häufig vorkam, hielt ich diese Beeinträchtigung für harmlos.“ (S. 23) Nachdem er sich eine Weile mit Aushilfsjobs über Wasser hält, findet er zwar einen Mentor – einen viel beschäftigten Autor für Fernsehshows – der ihm eine Chance gibt, doch ist die Arbeit für ihn mehr als unbefriedigend, da sie vor allem aus Laufburschen Tätigkeiten oder dem Erarbeiten von Unmengen an Quizfragen für eine TV Sendung besteht. Gleichzeitig hat sein Mentor Nagasawa ein Aggressionsproblem und wird Yama gegenüber nicht nur verbal ausfällig, sondern schlägt ihn auch.

Eine weitere Protagonistin ist Yume, eine junge Frau Anfang 20, die als zurückhaltend und eher wortkarg beschrieben wird und in Shinjuku in einer kleinen Bar namens Karinka als Kellnerin und Köchin arbeitet. In dieser winzigen und schlauchförmigen Bar treffen Yama und Yume auch das erste Mal aufeinander. Doch was Yama zunächst viel mehr an der Bar interessiert, sind nicht nur die

unterschiedlichsten Menschen und schrägen Vögel, die sie aufsuchen, sondern ein Spiel, welches bei den Gästen sehr beliebt ist. Es nennt sich Miau Jongg. An einem in die Rückwand der Küche eingelassenen Fenster, welches auf die Betonumfriedung und die Rückwand des Nachbargebäudes zeigt, lassen sich regelmäßig die unterschiedlichsten Katzen blicken. Zu erraten, welche als nächstes erscheinen wird, ist der Sinn des Spiels und weckt bei den Gästen helle Begeisterung. Um die Katzen, die selbstverständlich alle Namen tragen, zu unterscheiden, hängt ein von Yume eigens gezeichneter Katzenplan am Kühlschrank, der vor allem für Yama besonders faszinierend ist und der gleich bemerkt, dass es mit den Katzen noch mehr auf sich haben muss.

Soweit zum Setting, in dem Yama und Yume leben und sich kennen lernen. Beide sind letztlich Außenseiter, aber während wir über Yumes Lebensumstände lange Zeit wenig erfahren, wird bei Yama schnell klar – so beschreibt er es letztlich auch selbst – dass er kein Gewinner des Wirtschaftsbooms ist. Aber Sukegawas Kritik reicht über diesen Punkt hinaus, sondern verdeutlicht uns ja bereits am Anfang des Romans, dass Yama aufgrund seiner Rot-Grün-Blindheit in vielen Bereichen diskriminiert wird, was schließlich für ihn zur Folge hat, dass er sich widrigstens Arbeitsbedienungen beugen muss, bis hin zu einem tyrannischen Chef, um sich doch noch in dem Bereich zu etablieren, der seinen beruflichen Wünschen entspricht. Was er wirklich denkt, hält er dabei seinem Chef gegenüber lange zurück und verhält sich so, wie es von ihm erwartet wird – dankbar und unterwürfig.

Durch das Karinka erfährt Yamas trostlose Geschichte jedoch schließlich eine Wendung. Zum Einen beginnt sich ganz langsam eine Beziehung zwischen Yume und Yama zu entwickeln, in Folge derer sie ihm auch zeigt, dass die Katzen in einem geschlossenen und baufälligen Love Hotel ihren Unterschlupf haben, in dem es auch zu einer Annäherung zwischen den beiden kommt. Zum Anderen motiviert sie ihn, sich nicht alles gefallen zu lassen und Kunst nicht mehr als Massenware zu begreifen, sondern als etwas, das für den Einzelnen gemacht wird. Tragischerweise endet die fragile Liebesbeziehung zwischen Yama und Yume bevor sie richtig beginnt, wodurch uns Durian Sukegawa aber einen Blick in Yumes Vergangenheit gewährt, die leider auch durch sexuelle Gewalt geprägt ist. Als sie sich beispielsweise bei einem Vergewaltigungsversuch gegen ihren Peiniger zur Wehr setzt, wird sie von diesem wegen Körperverletzung angezeigt. Sukegawa thematisiert an dieser Stelle das lange gültige, aber veraltete und restriktive Sexualstrafrecht, welches erst 2017 reformiert wurde und damit die Strafverfolgung erleichtert. Dennoch beeinflusst Yumes Vergangenheit ihr Handeln in der Gegenwart, was auch den Fortgang der Geschichte maßgeblich bestimmt.

Die Katzen von Shinjuku sind letztlich eine Metapher für die Menschen, über die Sukegawa in seinem Roman schreibt. Es sind nicht nur Yume und Yama, die sich vorsichtig beschnuppern, es sind auch all die anderen Gäste im Karinka, die vorbei streunen, wenn es ihnen passt und die Menschen in Shinjuku überhaupt, die kommen und gehen und wo man nie weiß, wer wo auftauchen wird. Die Bar fungiert dabei als Sammelbecken für die unterschiedlichsten und auch skurrilsten Persönlichkeiten, die hier ihre Daseinsberechtigung haben.

Letztlich lässt Sukegawa seine Protagonisten aber ein tröstliches Ende finden, was neben all der von ihm aufgeworfenen Kritik nicht selbstverständlich ist und die Hoffnung in sich birgt, dass widrige Umstände überwunden werden können.



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